Foto Installation
wayfare
Installation: 1 Block a 30 Bilder 25 x 25 cm // one installation block with 30 pictures 25 x 25 cm
Fotografie auf geschöpftem Papier- Leinwand / Leinölmischtechnik // photography on made paper and canvas linseedoil mixing technique
fortlaufende Nummer, Beginn 2016......//consecutive numbers, begininng 2016......
Courage - use your own chance
Installation: 21 Doppelbelichtungen / double exposure:
Direktdruck auf gebürstetem Aluminium / direct printing on brushed aluminium
21 x 28 cm / Einzelbild / single picture
magnetisch auf Autoblech flexibel beweglich/ magnetically on car sheet flexible mobile 100 x 200 cm
„Wayfare“ – Momentaufnahmen des Menschlichen
„Leben – es gibt nichts Selteneres auf der Welt. Die meisten Menschen existieren, weiter nichts.“
Das Kunstverständnis von Vera Reschke speist sich seit geraumer Zeit hauptsächlich aus zwei bewundernswerten Eigenschaften: ihrer nahezu detektivischen Beobachtungsgabe gepaart mit ihrem intuitiven Einfühlungsvermögen. Vergleichbar mit den in ihrem Kunstschaffen durchweg parallel aus unterschiedlichsten Holzarten entstehenden Skulpturen –
denen sie aufs Wesentliche abstrahierende, oftmals archaische Formvollendungen verleiht – zeichnet sich auch ihre gegenwärtige Werkphase durch eine reflektierende Suche nach der Essenz des Seins aus. Den Ausgangspunkt ihrer sich selbst angeeigneten Gestaltungsweise bilden Momentaufnahmen von direkt aus dem Leben gegriffenen Begebenheiten, für deren Speicherung Vera Reschke auf das Hilfsmittel der Fotografie zurückgreift.
In diesem Kontext könnte es erhellend sein, kurz anzumerken, das Vera Reschkes Talent, mit ausgeprägt wachem und analytischem Blick ihre Welt, die Menschen darin und die unspektakulärsten Geschehnisse wahrzunehmen, in ihrem Lebenslauf begründet sein könnte. Als ehemaliges Fotomodell und ausgebildete Mode- und Porträtfotografin kennt sie beide Seiten, vor wie hinter der Kameralinse. Die Erfahrungen dieser beiden Parallelwelten, die in ihrer aufgesetzten Gekünsteltheit extrem von der Wirklichkeit abweichen, mögen sie zur gesteigerten Hinwendung zum Authentischen bewegt haben.
Wie bereits der englische Titel ihrer aktuellen, seit 2016 als „work in progress“ angelegten Werkreihe „Wayfare“ anklingen lässt, nimmt Vera Reschke uns mit auf eine Reise, ja mehr noch, auf eine visuelle Wanderung durch die berührendsten Gefühls- und Gedankenwelten.
Auf ihren zahlreichen Erkundungstouren durch nähere und weiter entfernte Orte und Länder hält sie weniger flüchtige Impressionen fest, sondern dokumentiert Menschen in ihrem individuellen Umfeld und in ganz bestimmten Lebenssituationen. In letzter Zeit fand die Künstlerin verstärkt Motive in Thailand, Oman, Brasilien, Vietnam, Sansibar, Bali, Tansania und Ägypten, integriert aber auch Urlaubsbilder aus Italien oder ihren Wohnort Böblingen. Dabei treffen jedoch nicht, wie man vermuten würde, landestypische Merkmale, touristische Attraktionen oder kulturelle Sehenswürdigkeiten auf das fotografische Interesse von Vera Reschke. Stattdessen nimmt sie Menschen, unterschiedslos ob gänzlich Fremde oder Personen aus dem engeren Freundes- oder Familienkreis, direkt in ihren Fokus und zieht sie, abgesehen von wenigen Ausnahmen, in denen auch Tiere (beispielsweise Kamele) abgebildet werden, als alleinigen Protagonisten für die Bildaussage heran.
Das gesammelte Fotomaterial funktioniert dabei als pures Mittel zum Zweck. Denn die mit der Kamera gespeicherten Digitalaufnahmen bedeuten für Vera Reschke lediglich die Vorarbeit und stehen am Ausgangpunkt eines komplexen Verwandlungsprozesses. Zurück am heimischen Computer durchlaufen sie akribische Auswahl- und Bildbearbeitungsverfahren, die im Endeffekt hin zu Vera Reschkes unverwechselbarem Gestaltungsstil führen:
Die digitalen Bilder werden der Farbe beraubt, bildprogrammtechnisch bearbeitet und so lange ins Extreme reduziert, bis sie den perfekten Bildausschnitt aufweisen und in der Betonung der Konturen und ihrer Silhouettenartigkeit an Schablonen erinnern. Im Anschluss wird das auf Büttenpapier ausgedruckte Motiv unter Zugabe von Leinöl auf dem Bildträger fixiert. Mit malerisch frei gesetzten, gesprüht wirkenden und graffitihaft anmutenden Strich- und Lineingefügen werden weitere Verfremdungseffekte erzielt, sodass die quadratischen, verhältnismäßig kleinen Formate im Endergebnis eher an von der Urban Art inspirierte Murals (Wandmalereien) als an Mixed Media (Mischtechnik) - Arbeiten erinnern. Dieser Eindruck wird durch die vorgegebene Präsentationsform in Blöcken, Reihen oder Spalten betont aber zugleich durch die akkurate weiße Umrahmung der einzelnen Leinwände gebrochen. Bisher sind auf diese Weise insgesamt 96 Werke entstanden, die auf eine unnachahmlich intensive Art von Abenteuern und Abstürzen, Freuden und Freudlosigkeiten, Höhenflügen und Herzschmerzen unseres Daseins erzählen – oder philosophisch ausgedrückt: ein Panoptikum unserer Seinszustände darstellen.
Einer der bemerkenswertesten und spannungsvollsten Aspekte an der Serie „Wayfare“ ist die bereits weiter oben kurz skizzierte, aufs Äußerste gebrachte Fokussierung der menschlichen (nur selten tierischen) Hauptdarsteller, die mit Hilfe der Ausschneidefunktion des Bildbearbeitungsprogramms komplett aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang, aus der kulturellen Einbettung des Aufnahmeorts und der einst vor Ort gegebenen Stimmung isoliert wurden. Der Bildraum wurde buchstäblich von allem Brimborium befreit. Diese Abwesenheit von Überflüssigem, Belanglosem oder Ablenkendem der Dingwelt eröffnet den Betrachtern eine schier unerschöpfliche Bandbreite an Denkanstößen und Deutungsmöglichkeiten.
So kann der aufmerksame Betrachter bei einer Gruppe von jungen Männern zwar an der spezifischen Robe erkennen, dass es sich um buddhistische Mönche handeln muss. Dass diese jedoch Schüler sind, die bildwürdig festgehalten wurden, als sie gemeinsam eine Tempelruine irgendwo in Thailand besichtigten, kann man ausschließlich durch die Künstlerin herausfinden. Als einzige hat sie die Entstehungsgeschichten und realen Begebenheiten in ihrem Gedächtnis, wie in einem lückenlos angelegten Archiv der Motive, verankert. Verlässt sich der Betrachter vorzugsweise auf das eigene Seherlebnis, erschließen sich bei den gedankenspielenden Entschlüsselungsversuchen ganze Erinnerungs- und Erfahrungswelten. Während ein lachendes Mädchen fast überschäumt vor Glück, verraten die Tränen einer jungen Frau eine tiefe Traurigkeit. Die Auslöser für die vielfältigen Gefühlsfacetten bleiben verborgen – überhaupt bleiben einige mysteriöse und mystische Rätsel zurück. Unwillkürlich fühlen wir uns in die Rolle eines Theaterregisseurs versetzt, der den entleerten Bühnenraum mit assoziativen Attributen zu befüllen hat.
Vera Reschke gelingt es, sich in ihrer künstlerischen Herangehensweise gänzlich von jeglichen uns von außen auferlegten Grenzen, konstruierten Hierarchien oder etablierten Machtverhältnissen zu befreien. Indem sie sich auf unsere unvoreingenommene Vorstellungskraft beruft, findet sie zu eindringlich sprechenden Bildern über die Omnipräsenz von Leben und Leidenschaft – vom Lieben, Lachen und Leiden. Im Erkennen und Annehmen des Lebens mit all seinen Begleiterscheinungen spürt sie das in uns allen innewohnende Bedürfnis nach mehr Mitmenschlichkeit und fordert uns subtil zu einer unabdingbaren Besinnung auf das Menschliche im Menschen auf.
Das Bild des älteren Mannes, der selbstverloren und einsam durch das Wasser watet, greift das eingangs erwähnte Zitat von Oscar Wilde äußerst sinnbildlich auf. Insbesondere das im Werkkomplex „Wayfare“ eingeschmuggelte Selbstporträt der Künstlerin, bei dem sie uns mit ihren Augen besorgt und herausfordernd zugleich anblickt, scheint uns die bestechendste aller Fragen zu stellen:
Existierst Du (bloß) noch oder lebst Du schon?